Ähnlich wie 2023 ist auch im laufenden Jahr 2024 die Kür der Bankmitarbeiterin des Jahres weit- gehend unstrittig: Die Zinspolitik von Christine Lagarde, Präsidentin der Europäischen Zentral- bank (EZB), hat die Sonderkonjunktur verlängert, für einen faktischen Free Lunch auf Banken- seite gesorgt und damit ein wenig Zeit zum Durchschnaufen ermöglicht. Während zum Jahres- ende hin ein Teil der Finanzinstitute die schlagartigen und deutlichen Ergebnisverbesserungen auf das etwas verklärt wirkende, „konsequente Managen der eigenen Agenda“ zurückführt und „dem Team für die herausragenden Leistungen dankt“, zeigt sich der andere Teil etwas rationaler und bescheidener: Dem eigenen Team wird ebenfalls gedankt, gleichzeitig wird die Zins-Bonanza proaktiv erwähnt und im gleichen Atemzug darauf hingewiesen, dass die nächste Zinswende bereits eingeleitet ist, höhere Betriebskostenbasen wieder verdient werden müssen und Kreditrisikokosten nicht im toten Winkel bleiben dürfen.
Core Business-Mindset, Kundenzentrierung & Behavioral Banking
Die Jahresergebnisse 2023 wie auch 2024 markieren insoweit einen sog. „Once in a lifetime“- Moment in der Bankgeschichte, sind in absehbarer Zukunft kaum mehr zu erwarten und sollten sich Finanzinstitute im wahrsten Sinne des Wortes einrahmen. Die operative Realität des Brot- und Buttergeschäfts, im Idealfall ausgestattet mit einem kundenzentrierten „Core Business- Mindset“, steht bereits im Jahr 2025 wieder mehr denn je im Fokus. Kundenzentriertes „Core Business-Mindset“ heißt: Volle Kraft auf das Kerngeschäft, kein Verzetteln in wenig ergiebigen Nischen, die keinen spürbaren Ergebnisdiversifikationseffekt erwarten lassen und kein „Sich verlieren“ bei Randthemen.
Das sehr präsente Buzzword „Kundenzentrierung“ ist dabei dezidiert kein Synonym für das angestaubte royale Kundenverständnis, nachdem der „Kunde König ist“. Kundenzentrierung rückt stattdessen das Verständnis des Bankkundenverhaltens – das sog. Behavioral Banking – in den Fokus und das Jahr 2024 markiert an dieser Stelle ebenfalls eine gewisse Zäsur: Der Doyen der Behavioral Economics, Nobelpreisträger Daniel Kahnemann (University of California, Berkeley und Princeton University), verstarb im Alter von 90 Jahren.
Bankgeschäft, insbesondere das sog. B2C („Banking-2-Consumer“), ist in seinem Kunden- verhalten dezidiert nicht mit klassischem Konsumgütergeschäft wie etwa dem Kauf von Bekleidung, dem Buchen einer Urlaubsreise oder dem Essen in einem guten familiengeführten Gasthaus gleichzusetzen. Banking löst beim B2C-Kunden i.d.R. weder eine Ausschüttung der Neurotransmitter Dopamin („Vorfreude vor dem Bankbesuch“), noch von Endorphin („Wohlgefühl während des Bankbesuchs“) und geschweige denn Serotonin („Glücksgefühl nach dem Bank- besuch“) aus – ein hinlänglich bekanntes, sowohl breit wie auch tief untersuchtes Spezifikum des Bankgeschäfts. Zugespitzt formuliert: Banking ähnelt in seinem Kundenverhalten mehr einem Zahnarztbesuch als dem Buchen der nächsten Ferienreise.
Datamining-basiertes Behavioral Banking & Behavioral Banking-Evergreens: Insights in die operative Bankpraxis
Behavioral Banking, zu Beginn stark erforscht über qualitative Sozialforschung (v.a. Kunden- befragungen), fand zunächst seinen Niederschlag in der Ableitung von qualitativen Personas- Typen (z.B. Sinus-Milieus Anfang der 2000er-Jahre mit Personas-Typen wie etwa den „Traditionellen“, „Experimentalisten“, „Anspruchsvollen“ etc.), die i.w.F. zur werblichen und kommunikationspolitischen Ansprache dieser Kundengruppen herangezogen wurden. Für das „Everyday Banking“, die treffgenaue Lokalisierung von Ertrags- bzw. Kundenbindungschancen und ergo für die tägliche Vertriebsarbeit leisten diese Ansätze am ehesten noch „über die Bande“ einen wertstiftenden Beitrag.
Evergreens aus dem Behavioral Banking, deren Berücksichtigung auf die operative Bankpraxis weiterhin voll einzahlen sind bspw.:
- der Halo-Effekt bei der Umsetzung von Spezialisierungsansätzen mit sog. High Involvement der Kunden (v.a. im HIKrG-Geschäft)
- der Depletion-Effekt bei der Terminierung von schwierigen Kundengesprächen gegen Tagesende
- das Low Involvement-Verhalten von rund 75 bis 80% der Bankkunden beim Ankerprodukt „Girokonto“
- das Loyalitätsparadoxon, bei dem mit zunehmender Dauer der Bank/Kunde- Beziehung die kundenseitige Preissensibilität v.a. ab dem sechsten bis siebten Jahr deutlich abnimmt und Agios von 20–30% erlaubt
- die herausragende Bedeutung des Nudging (heißt: „dem Kunden die Entscheidung erleichtern und Anstupsen“) oder
- der Sense of Urgency-Effekt, bei dem Kunden auf prima vista wenig angenehme Sachverhalte hingewiesen (z.B. Pensions-/Vorsorgelücke, Überziehungsverhalten etc.) und zugleich i.S. von „Financial Health“ bedürfnisorientierte Lösungen vorgeschlagen werden
Die Transformation der Erkenntnisse aus dem Behavioral Banking auf die Ableitung sog. datamining-basierter Personas-Gruppen ist ein weiterer höchst erfolgreicher Use Case.