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Bankenumfeld

Raiffeisen Schweiz vor großen Herausforderungen – was kann man von den genossenschaftlichen Banken der Nachbarländer lernen und was nicht?

Nach Jahren der Erfolgswelle steht die Raiffeisengruppe Schweiz vor Herausforderungen, die eine Vielzahl von Themen betrifft: Corporate Governance und Rechtsform, Geschäftsmodell, Autonomiegrad und auch die Regulatorik. Ausgelöst wurde die Debatte um den Zukunftsweg der Raiffeisen Schweiz durch die Vorkommnisse in der Ära Pierin Vincenz, die derzeit Gegenstand einer Reihe von Untersuchungen (Staatsanwaltschaft Zürich, FinMa und jüngst der „Gehrig-Bericht“) sind. Im Mittelpunkt der Diskussionen standen bisher vor allem die personellen Konstellationen bezüglich Verwaltungsrat und Geschäftsleitungdiese sind in den letzten Monaten geklärt worden. Damit ist die Erneuerung aber nicht am Ende, sondern steht erst am Beginn. Um in dieser Phase der Neustrukturierung Orientierungspunkte zu bekommen, lohnt ein Blick über die Grenze zu den genossenschaftlichen Schwesterorganisationen, vor allem nach Deutschland und Österreich.

In all diesen Ländern entstanden um die Jahrtausendwende des 19. zum 20. Jahrhundert nach den Ideen von Hermann Schultze-Delitzsch und Friedrich-Wilhelm Raiffeisen Kreditgenossenschaften, die vor allem den Landwirten Zugang zu Krediten ermöglichten. Aus diesen Anfängen entwickelten sich bedeutende Bankengruppen, die sich heute aber trotz des genossenschaftlichen Hintergrundes in den Geschäftsmodellen und auch Organisationsmodellen deutlich unterscheiden. Nur geringe Unterschiede bestehen aber in den aufsichtsrechtlichen Rahmenbedingungen. In der EU sind diese unter dem Begriff Bankenunion vereinheitlicht und die Schweiz hat diese Regelwerke, die sich an den Empfehlungen des BCBS (Basel III) orientieren, weitgehend ähnlich eingeführt.
Vergleichbare Rahmenbedingungen müssten eigentlich zu ähnlichen Lösungen führen, was jedoch aufgrund der historischen Unterschiede und dem Einfluss der Politik bis heute nicht der Fall ist. Dies sollte jedoch kein Hindernis sein, die Vorteile der jeweiligen Systeme zu übernehmen.

Im Kerngeschäft sind die Genossenschaftsbanken in Österreich und in Deutschland deutlich diversifizierter als die Schweizer Raiffeisengruppe. Das Geschäft mit KMU-Kunden und auch die Dienstleistungspalette im Privatkundenbereich mit Zahlungsverkehr, Wertpapiergeschäften und Versicherungen sind deutlich ausgeprägter als in der Schweiz. Die Schweizer Raiffeisengruppe fungiert in erster Linie als „Bausparkasse“ – zwar ohne staatliche Förderungen, aber mit einer starken Fokussierung auf Einlagen auf der Passivseite und hypothekarisch besicherten Wohn- und Gewerbebaufinanzierungen. Dieses Geschäftsmodell hat systemimmanent eine ausgeprägte Fristentransformation als Ertragsbestandteil. Damit hängt die Rentabilität vor allem von den herrschenden Zinskonstellationen ab. Vor allem in Zeiten von sinkenden Zinsen steigen die Gewinne, in Zeiten steigender Zinsen sinken diese aufgrund der Fixzinskredite in der Bilanz. Dieser Effekt kann zwar mit Derivaten ausgesteuert werden, aber aufgrund der Unberechenbarkeiten der Zinsentwicklung lassen sich auch teils erhebliche Schwankungen nicht vermeiden. Eine besondere Entwicklung stellt die Zeit seit der Finanzkrise dar. Die im Vergleich zu den Kreditzinsen deutlich stärker sinkenden Einlagenzinsen führten zunächst zu Rekordgewinnen, die nun allerdings durch das zunehmend schlechter verzinste Neugeschäft erodieren.

Insofern war der Erfolg der genossenschaftlichen Bankorganisationen vor allem in der Schweiz und in Deutschland weniger einem überlegenen Geschäftsmodell geschuldet, sondern den Reaktionen der Zentralbanken auf die Finanzkrise. In beiden Ländern wurden die reichlich vorhandenen Eigenmittel zum Ausbau des Kreditgeschäftes genutzt und stiessen in die Lücke vor, die vor allem die Grossbanken mit ihren RWA-Abbauprogrammen hinterliessen. Etwas anders präsentiert sich die Situation in Österreich: Dort dominieren variabel verzinste Kredite das Geschäft und ermöglichen aus dem Kundengeschäft heraus keine derart ausgeprägte Fristentransformation. Das führt zu einer deutlich geringeren Zinsspanne vor allem zu Deutschland, allerdings auch zu deutlich weniger Risiko. In Österreich halfen aber die Beteiligungserträge und Aufwertungen, die aus der Expansion der RZB Raiffeisenzentralbank (heute: Raiffeisen International) nach CEE stammten. Die absolute Zinsmarge ist zwar in der Schweiz am geringsten, sie ist aber im Wesentlichen durch günstige Kundenmargen induziert, die aber durch den im Vergleich zu Österreich und Deutschland viel höheren Kreditbetrag pro Kreditgeschäft absolut ausgeglichen wird.

Während die deutsche Genossenschaftsorganisation in ihrer Geschichte weder im Inland noch im Ausland – abgesehen von einigen im Verhältnis wenig bedeutenden Engagements der Pfandbriefbanken in den USA und den PIGS Staaten, der DVB, und über ihre Minderheitsbeteiligung an der österreichischen ÖVAG – Diversifikationen eingegangen ist, weist sie eine sehr kontinuierliche und stabile Entwicklung auf und gilt heute als eine der solidesten Bankengruppen Europas. Eine ganz andere Entwicklung konnte man in Österreich beobachten. Das Spitzeninstitut RZB der Raiffeisenbankengruppe war Ende der 1980er Jahre durch den rasanten Zinsanstieg am Geldmarkt in eine Schieflage geraten und wurde mit Mühe durch den Sektor aufgefangen.